Es war einmal … der kleine Philipp
Der Traum von der Auswanderung – Teil 1
Oder mutig sein, wie eine Schwalbe
Wenn nicht jetzt, wann dann? Diese Frage kann man sich sicherlich des Öfteren im Leben stellen.
- Soll ich ein Kind bekommen? Wenn nicht jetzt, wann dann?
- Ist jetzt ein guter Zeitpunkt noch einmal zu studieren? Wenn nicht jetzt, wann dann?
- Soll ich …? Wenn nicht jetzt, wann dann?
Manchmal ist es nicht der richtige Zeitpunkt, das stimmt schon. Aber häufig schieben wir bestimmte Dinge vor uns her, da wir nicht 100% daran glauben oder uns der Sache nicht mit Haut und Haaren widmen möchten.
Wir wollen unser gemütliches „Nest“ nicht verlassen. Wenn ich gerade an Nest denke, fällt mir Philipp ein, der diesen Sommer zwei Tage in meiner Obhut verbrachte.
Wer ist Philipp?
Philipp bekam seinen Namen, da er ein kleiner Zappelphilipp war und offensichtlich alles andere als ein Nesthocker. Philipp ist eine kleine Mehlschwalbe, die eines Abends in diesem Sommer auf unserer Terrasse saß. Sehr klein, sodass man sofort darauf kam, dass er ein Nestflüchter sein musste. Da ich mich nicht mit Schwalben auskannte, dachte ich seine Mutter würden ihn vielleicht noch „abholen“ ganz nach dem Motto „Der kleine Philipp möchte aus dem Spieleparadies abgeholt werden.“, oder, dass sie ihn am Boden füttern würde.
Am nächsten Morgen schien er weg zu sein, zumindest war die kleine Behausung, die ihm als Schutz dienen sollte – ein kleiner Pappkarton mit „Zewa*“-Vorhang – leer.
Ich war happy, weil ich dachte er sei wieder bei seiner Familie. Aber, nachdem ich eine Stunde später wieder nach draußen schaute, sah ich ihn in der Nähe unserer Gartenbox sitzen. „Mist!“ nun las ich im Internet nach, dass sie am Boden nicht gefüttert würden. Man solle ihnen weder Körner geben, noch Würmer – aber es ginge wohl frische Fliegen zu fangen und vorübergehend, damit sie frisch blieben, bis zur Fütterung in einem Glas Wasser aufzubewahren.
Philipp war zwar flügge, aber das Fliegen gehörte noch nicht zu seiner Paradedisziplin. Zu diesem Zeitpunkt hatte er seinen Namen noch nicht. Also sammelte ich den kleinen Knirps ein und setze ihn in eine kleine Müslischale mit Küchenkrepppapier, so wie es auf einer Vogelschutzwebseite geraten wurde. Nachdem ich dann einige Fliege gefangen hatte, versuchte ich mich als Ziehmutter. Es gelang dann nach einigen Versuchen und so hatte sich Klein-Philipp schon bald den Magen vollgeschlagen.
Sein Nest verlassen – kleine Vögel
Ich habe mich dann ein wenig belesen und war sehr erstaunt, dass diese so kleinen Vögel den weiten Weg nach Afrika auf sich nehmen, um dort zu überwintern und dann im nächsten Jahr wieder zurückkehren.
Wie sollte der kleine Philipp es schaffen, wenn er nicht von seinen Eltern trainiert wird. Mir erschien es mehr als sinnvoll ihn auf irgendeine Weise wieder, seinen „leiblichen“ Eltern, zurückzugeben.
Eine „Vogelfrau“, die ich anrief gab mir den Rat, alle anderen Schwalben aus dem Nest zu nehmen, sicherlich wären alle mit Parasiten befallen, das wäre der häufigste Grund aus dem Nest zu flüchten. Hitze käme aber auch noch in Frage. Da wir die Tage zuvor über 38 Grad Celsius hatten und Phillip frei von Parasiten war, wollte ich mir lieber nicht am Nest zu schaffen machen. Ich vermutete, dass er aus dem Nest gesprungen sein musste, weil es darin viel zu heiß geworden war. Am Ende würden noch alle Schwälbchen „verstoßen“ und ich hätte sie auf dem Gewissen, daher kam diese Art der „Vogelrettung“ für mich nicht in Frage.
Das Schwalbenhaus – von dem Glück der Schwalbennester
Grundsätzlich mögen die meisten Hausbesitzer es nicht, dass Schwalben an ihren Häusern Nester bauen. Vor zwei oder drei Jahren hatten wir daher unseren Vermieter auch schon über Nestbauversuche von Schwalben informiert, falls er hätte dagegen etwas tun wollen (dürfen). Dennoch hatten sie es bis zu diesem Jahr nie geschafft, ein intaktes Nest zu bauen, bis zu diesem Sommer 2022.
In meiner Fantasie hatte ich schon eine Kleinanzeige beim „Vogel-Immoscout“ formuliert: „Schwalbennester zu Untermiete: großes Penthouse (es war genau im Dachfirst an der höchsten Stelle gebaut worden und das größte der Nester) mit Weitblick, City-Appartements (davon gab es drei zur Straßenseite hin, alle unterschiedlich vom Einstieg und unterschiedlich groß) und ein Garden-View-Appartement (das war zum Garten hin gebaut worden und es gab nur eines). Wir dachten, Philipp müsse wohl aus dem Gardenview geflattert sein, aber wer weiß, sein Zuhause könnte auch ein anderes sein.
Später, als die Schwalben ausgezogen waren, und manche Nester herunterfielen sah man auch, dass darin tote Schwälbchen waren. Waren sie an der Hitze verstorben, vor der Philipp geflüchtet war? Vielleicht.
Wer kennt den Vogel?
Mit Hilfe meines Ehemanns Matthias bauten wir ein sogenanntes Ammennest, um ihn „laut Vogelschützern“ wieder in die Nähe seiner Geschwister und Eltern zu setzen, die ihn dann möglicherweise dort wieder füttern würden. Da wir annahmen, dass Philipp ein Gardenview Bewohner sei, befestigten wir ganz nah an diesem das Ammennest.
Dann wurde Philipp dort hineingesetzt. Er saß dann dort und flatterte und zwitscherte herum, offensichtlich war er aufgeregt. Die anderen Schwalben gingen hin und ich konnte nicht gut sehen, ob sie ihm freundlich gesinnt waren. Auf jeden Fall, sprang der kleine Abenteurer vom Nestrand und flatterte über die Straße, wobei er nun auf dem Grundstück des Nachbarn vor dessen Garage abstürzte.
Ich sammelte also den kleinen Ausreißer wieder ein und dachte noch einmal darüber nach, was man tun sollte. Einige weitere Erfahrungsberichte von Schwalbenrettern, die ich las, ließen uns doch noch einmal daran glauben, das Ammennest könne die Lösung sein.
Wir setzen ihn wieder in das Nest und schauten zu. Es schien als kämen verschiedene Schwalbenpaare vorbei, um zu schauen ob der kleine Bursche zu ihnen gehörte. Verschiedene Schwalben kamen, schauten und flogen weg. Und plötzlich wieder flatterte Philipp und flog, dieses Mal flog er zusammen mit einigen Schwalben los und ich konnte ihn dann am Himmel nicht mehr von den anderen unterscheiden. Was für einen Mut dieser kleine Piepmatz doch hatte.
In ihm war der Drang nach Freiheit und Abenteuer offensichtlich so groß, dass er das Risiko in Kauf nahm, er folgte seinem Instinkt. Die anderen Schwalbenkinder, mit weniger Zappelpotenzial, verblieben in ihrem Nest und starben vermutlich an der Hitze, die in der Woche sehr groß war.
Auch, wenn ich nicht weiß, ob Philipp es nach Afrika geschafft hat, so hat er es wenigstens versucht und ist seinem natürlichen Instinkt das Nest zu verlassen gefolgt.
*Küchenpapier