Jenseits der ausgetretenen Pfade gehen – Selbst für sich denken und entscheiden
Von trotzigen Kindern, die ihre Eltern verlassen
Das Zitat von Albert Einstein trifft den Nagel auf den Kopf: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“
Wir tun immer das Gleiche und denken, allein dadurch, weil wir es ein bisschen verändert haben, bekämen wir gleich völlig andere Resultate. Wie soll das möglich sein, wenn wir uns nicht einmal einen Schritt von unserem alten und wohlbekannten Terrain entfernt haben?
Auch ich mag Veränderungen am liebsten in kleineren Dosen. Und was ich überhaupt nicht leiden mag, ist von anderen unterdrückt zu werden oder, wenn mir jemand seine Meinung überstülpen möchte.
Ich bin ein großer Fan davon eigene Entscheidungen zu treffen und davon in Freiheit mein Leben nach eigenen Kriterien zu gestalten. Schon als Kind konnte ich mit der Antwort auf meine Frage warum ich etwas tun müsste, nur dann zufriedengeben, wenn es für mich einen Sinn ergab.
Das absolute No-go für mich war die Antwort „Weil ich es so sage!“ Diese Antwort verstehe, ich einfach nicht. Ja, die natürliche Hierarchie in der Familie, mag damit einhergehen, dass man auf seine Eltern hören muss, aber wenn es für eine Handlung keine Erklärung gibt, ist das für ein neugieriges und wissensdurstiges Kind keine befriedigende Antwort. Ein Kind möchte verstehen und daraus seine eigenen Schlüsse ziehen können, neu Gelerntes wird mit schon Bekanntem im Gehirn verknüpft und schafft so ein Wissensnetzwerk, bis ins hohe Alter.
Regeln und Grenzen, ohne Sinn
Nun begegnen uns im Leben Vielerorts wieder Regeln und Grenzen, die offensichtlich keinerlei Sinn ergeben, denen wir jedoch ohne Widerspruch folgen sollen. Ob es in der Schule ist, bei der Arbeit oder im Gesellschaftsleben, immer wieder scheinen andere Menschen der Ansicht zu sein, sie könnten ihre „Artgenossen“ klein halten oder ihnen das Mitspracherecht nehmen. Vermutlich ist es uns in Deutschland noch nie so bewusstgeworden, wie in den vergangenen zwei Jahren, dass man uns von heute auf morgen unsere bisherigen Freiheitsräume einschränken kann oder gar vollständig nehmen.
Schon als Kind hatte ich öfters mal Hausarrest, weil ich mit meinem Dickkopf durchaus auch sehr wütend werden konnte, wenn man mir etwas nicht erlauben oder geben wollte, was mir meines Erachtens durchaus zustand. Und weil meine Eltern eher südländische Erziehungsmethoden kannten, hatten sie auch keine Scheu, die am eigenen Körper selbst erfahrene Züchtigung weiterzugeben, wenn sie mit ihrem Latein am Ende waren.
Offenbar wiederholen sich auch auf anderen Ebenen diese Methoden im Umgang mit Mitmenschen, wenn man „nicht mehr weiterweiß“. Auf unterschiedliche Art und Weise werden dann Regeln und Grenzen gesetzt, die nur aufzeigen, dass derjenige der sie erstellt, selbst keine Lösung parat hat.
Ich gehe!
Als dreijährige war ich mit der Autorität, die man mir entgegenbrachte nicht einverstanden, und war bereit meine Eltern zu verlassen. So stampfte ich mit meinen kurzen pummeligen Beinchen einfach los. Da ein kleines Kind ja etwas länger braucht, kann man zu Beginn ja einfach einmal zuschauen, wohin die rebellische Tochter gehen will, und ob sie nicht doch noch einmal umschaut oder gar umkehrt. Meine Eltern durften meinen Eigensinn, über meine gesamte Kindheit und Teenagerzeit noch zur Genüge kennenlernen.
Und so kam es auch, dass ich auch damals nicht umgekehrte oder anhielt, vielmehr lief ich einfach weiter. Zu der Zeit wohnten wir in einem Hochhaus mit etwa fünf Stockwerken, die Grundstücks- und Gartenfläche war weitläufig, aber irgendwann war auch der lange Weg zur Straße zu Ende. Und es begann dort der Gehweg in die weite Welt, und der mir bekannte Weg zum Kindergarten.
Ich ging als Kind einfach, wenn ich nicht einverstanden war, mit dem was meine Mutter oder mein Vater an dem Tag mit mir vorhatten. Sie wunderten sich doch sehr, dass ich nie von allein kehrtmachte. Denn es blieb nicht bei einen einzigen Tag, an dem ich „fortging“. Es gab immer wieder Situationen, in denen ich mir vornahm meine Eltern zu verlassen, weil mir das Verständnis und die Annahme meiner Person fehlte.
Meine Mutter, die erst 17 Jahre alt war, als ich auf die Welt kam lies mich – selbst erbost über so viel Sturheit ihrer Tochter – an einem Tag einfach davongehen. Als mein Vater eine halbe Stunde später nach Hause kam und fragte wo ich denn sei, erschreckte er sehr auf die Antwort „sie ist gegangen“. „Wohin ist sie denn gegangen?“ fragte er ungläubig meine Mutter. „Weiß ich nicht, einfach weg. Wir haben uns gestritten und sie ist gegangen.“
Dass man seine erst dreijährige Tochter nicht einfach irgendwohin gehen lassen kann, lernte meine Mutter offenbar erst an diesem Tag. Sie war ja selbst noch in Vielem ein Kind, sodass bei unserem Streit zwei Mädchen, ein kleines und ein großes ihren Willen durchsetzen wollten.
Mein Vater brach daraufhin auf, um mich zu suchen und fragte Personen, die ihm begegneten, ob sie ein kleines Mädchen gesehen hätten. Durch Hinweise von Spaziergängern fand er mich im größeren Radius von unserem Wohnhaus entfernt und überzeugte mich wieder mit nach Hause zu kommen. Es sollte dennoch immer wieder vorkommen, dass ich mit fester Willenskraft losging, weil ich mit dem Familiensystem nicht zufrieden war und daher kein Bestandteil mehr der Familie sein wollte.
Ich entscheide
Auch heute bin ich mit so Vielem nicht einverstanden, da ich mittlerweile jedoch eine bessere Impulskontrolle habe, marschiere ich nicht einfach los, wie seinerzeit in meiner Kindheit.
Ich nehme mir Zeit, um die Situation mit Abstand zu betrachten und auch Zeit für Reflexion. Ich überlege, wie ich die Dinge im Hier und Jetzt für mich verändern kann, wenn ich keinen Einfluss auf die äußeren Umstände habe. Und ich denke darüber nach wie ich, mein Leben aktiv für mich so gestalten kann, dass ich damit zufrieden sein kann. Ich habe zudem die Möglichkeit mir darüber bewusst zu werden, wie ich mir bestimmte Dinge für mein Leben langfristig vorstelle. Was ist mir wirklich wichtig in meinem Leben? Was will ich für mein Leben und auf was kann ich verzichten, wenn es darum geht sich für etwas zu entscheiden.
Wenn ich so zurück denke an meine Kindheit, so ist jedoch immer noch die Entschlossenheit in mir Dinge und Situationen nicht hinzunehmen. Und auch der Mut zu gehen, wenn es mir richtig erscheint, ist noch immer ein Teil von mir.
Arbeitblatt zur Reflexion Ich entscheide